Verein zur Anregung des dramatischen Appetits
Društvo za vzbujanje dramskega apetita
Associazione per il Risveglio dell'Appetito Teatrale
Society for whetting the dramatic appetite
DAS LEBEN DES PROTOPOPEN AVVAKUM
VON IHM SELBST NIEDERGESCHRIEBEN
Eine Heiligenlegende der Sonderklasse
Texte von Avvakum Petrov
Textmontage, Übersetzung, Inszenierung:
Yulia Izmaylova und Felix Strasser
Kostüm, Requisite:
Vladimir Jaremenko-Tolstoj
Avvakum Petrov: Vladimir Jaremenko-Tolstoj
Patriarch Nikon: Felix Strasser
Eine Koproduktion mit dem Russischen ST/A/R Theater Berlin
Der Protopope Avvakum Petrov ist eine der skurrilsten Figuren der altrussischen Literaturgeschichte. Als orthodoxer Hardliner bringt er Mitte des 17. Jahrhunderts seine Schäfchen mit siebenstündigen Gottesdiensten und unmöglichen Bußgeboten zur Verzweiflung. In jeder Pfarrgemeinde, die er betreut, wird er schließlich von der Bevölkerung verprügelt und vertrieben. Später führt er den Kampf der Altgläubigen gegen die Reformen des Patriarchen Nikon an. Seine Lautstärke und Unablässigkeit führen Avvakum dreimal in die Verbannung nach Sibirien und über den Polarkreis hinaus, in den Kerker und endlich in die Flammen des Scheiterhaufens.
In seiner Gefangenschaft verfasste Avvakum seine Heiligenvita sowie zahlreiche Briefe, Sendschreiben und Glaubensauslegungen, die ob der schillernden Beschreibungen und der saftigen Sprache bis heute als einzigartige Kunstwerke gelten.
Felix Strasser über den Protopopen Avvakum:
Der Protopope Avvakum fasziniert mich seit meinem Slawistik-Studium. Wie man im gottesfürchtigen 17. Jahrhundert die monumentale Frechheit besitzen kann, sich selbst als Heiligen auszurufen, ist ja schon gut. Noch besser aber ist die Form, in welcher Avvakum dies anstellt: Er verfasst eine Heiligenvita – eine Heiligenvita, die vom Heiligen selbst geschrieben wurde. Und noch bemerkenswerter ist sein sprachlicher Stil: Denn anstatt des Altkirchenslawischen bedient er sich meisterlich der russischen Umgangssprache. Wunderbar blumige Beschreibungen wechseln sich mit saftiger Derbheit ab. Er ist bestimmt der einzige kanonisierte Heilige, in dessen umfangreichem Gesamtwerk auf jeder zweiten Seite das Wort Fut oder Scheiße vorkommt.
Und wenn man mich auch mit Steinen ganz zudeckte, so würde ich mit der Überlieferung unserer Väter gerne unter den Steinen liegen, und erst recht unter dem Bannfluch des Spötters und Übeltäters Nikon – ich trete ihn im Namen Christi mit den Füßen und mit seinem Anathema will ich mir den Arsch abwischen. [...]
Wehe dir, rechtgläubige Seele! Das Unterste haben sie zuoberst gekehrt. Wie Nikon, dieser Höllenhund, es einst angekündigt hat, so hat er es auch ausgeführt: «Druckt die Bücher irgendwie, nur nicht so wie die alten!» Mehr kann jetzt nicht mehr verändert werden. Diesetwegen wird der Tod über alle kommen. Verflucht sollen sie sein, diese Verdammten, mit all ihren teuflischen Ränken! Spucken soll man auf ihr Treiben, auf ihre Messe und ihre neuen Bücher. Diese Ketzer, Hunde! Sie machen mich krank, diese Fotzenkinder. (Das Leben des Protopopen Avvakum von ihm selbst niedergeschrieben)
Avvakum hält sich an alle formalen Regeln der Heiligenlegende – Neben dem Martyrium für den Glauben, seiner Tugendhaftigkeit und erfolgreichen Teufelsaustreibungen beschreibt er in seiner Vita auch seine heiligen drei Wunder:
Zuerst wird Avvakum von einem Obersten totgeprügelt, steht aber eine halbe Stunde später von den Toten wieder auf. Das zweite Wunder wirkt er selbst, als er mit der Kraft Gottes mit seiner bloßen Hand einen Bären erschlägt (...den zweiten ließ ich laufen). Und schließlich erscheint ihm im dunklen Kerker ein strahlender Engel mit einem Topf voll Krautsuppe und rettet ihn vor dem Hungertod.
Und nur seine Wundertätigkeit macht Avvakum – diesen Aguirre der Orthodoxie – zu meinem Helden.
Ach, lauter Feuer und Pein! Wie soll ich bloß meine Tage beschließen! Unverstand ist in mir und Heuchelei; mit Lügen decke ich mich zu, meinen Bruder hasse ich, und Eigenliebe macht mich blind, meine Mitmenschen richte ich und richte mich dabei zugrunde, ich dünke mich groß zu sein und bin doch nur Kot und Eiter – o ich Verdammter – Scheiße bin ich! (Das Leben des Protopopen Avvakum von ihm selbst niedergeschrieben)
Aufführungen:
13.04.2012 | 20:00 | Kremlhoftheater Villach
14.04.2012 | 20:00 | Jugendstiltheater Klagenfurt
15.04.2012 | 20:00 | Jugendstiltheater Klagenfurt
Foto: V. Jaremenko-Tolstoj
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